"Frei Schnauze" - nur so kann ich ein Projekt auch wirklich zu Ende bringen

Irgendwann im Frühjahr räumte ich in meinem Kleiderschrank hin und her. Langarmshirts zur Seite, dicke Sweats in die Versenkung, kurze Hosen und leichte Shirts nach vorne - wie immer im Frühling...

 

Dabei fiel mir auf, dass ich keinen leichten Pulli in einer hellen Farbe besitze. Denn ich musste ein Lieblingsteil wegen eines riesengroßen Flecks aussortieren.

 

Also beschloss ich, mir einen leichten Pulli aus einem ungefärbten Sommersockengarn mit Baumwollanteil zu stricken. Dieses Garn hatte sich in der Vergangenheit für Oberteile schon bewährt. Die Stränge waren fix gewaschen, getrocknet und gewickelt - und da lagen sie nun in meinem privaten Projektkorb...

Sie lagen da - und lagen da - und lagen da...

 

Irgendwie war ich von Anfang an unschlüssig, was ich stricken sollte. Nur dass es RVO werden sollte stand fest. Ich nahm Maschen auf, strickte einen Kragen (der mir von Anfang an nicht wirklich gefiel) und begann. Vorne sollte die Raglanschräge kleine Zöpfe und eine Lochkante bekommen, hinten sollte die Schräge ganz schlicht und ohne Lochkante verlaufen.

Und damit war das erste Problem geboren, denn dabei muss man ja doch ein bisschen aufpassen. Schon am ersten Abend stellte sich das Projekt als nicht fernseh- und unterhaltungstauglich heraus und damit flog es erstmal wieder ins Körbchen und ich widmete mich meinen Auftragsstrickereien.

Ein paar Wochen vergingen - 5 um genau zu sein - und es passierte gar nichts.

 

Eines Sonntags holte ich das Projekt wieder hervor und setzte mich damit in den Garten. Ich war echt ehrgeizig und wollte diesen Pulli nun innerhalb weniger Tage beenden. Und dann sah ich es: ich hatte in der vorderen Raglanschräge auf beiden Seiten dicke, fette Fehler eingestrickt. Na klasse...!

 

Wieder in die Ecke fetzen? Nein...!

 

Ich lockte das Ribbelmonster unter dem Tisch hervor und machte "kurzen Prozess".

 

Es waren schlieslich "erst" 100g verstrickt, da kann man ja auch nochmal neu beginnen.

 

Und irgendwie befreite es mich, diesen Pulli wieder aufzuribbeln.

 

So beschloss ich, dass der Pulli eine Jacke wird - ganz schlicht mit Zöpfen in der vorderen Raglanschräge wie ursprünglich geplant und ohne irgendwelche anderen Spielereien.

 

Voller Tatendrang schlug ich die Maschen an und strickte fast so weit, wie ich schon war. Ich hatte wirklich gehofft, dass der Strickrausch nun wieder einsetzen würde und ich die Jacke bald tragen könnte. Aber: es kam anders...

 

Als der obere Teil fertig war und ich die Ärmel still gelegt hatte, strickte ich also ohne jegliche Zu- oder Abnahmen weiter - schlicht rechts: eine rechte Reihe, eine linke Reihe. Ohne Farbwechsel, ohne Muster. Wie langweilig... Und schwupps - ab ins Körbchen mit dem Kram.

 

Der Sommer war ja in diesem Jahr wirklich bombig und ich brauchte auch gar keine Jacke. Wie praktisch.

 

Es trudelten die ersten herbstlichen Strickaufräge meiner Kundinnen ein, ich hatte einige Herbst- und Wintermärkte vorzubereiten. Perfekt um nicht an dieser langweiligen Jacke weiter stricken zu müssen. Die Sache hatte nur einen Haken: der Korb stand irgendwie immer im Weg.

 

Also setzte ich mich an einem eher trüben Samstag doch hin und strickte weiter - im Perlmuster, weil es mir so in den Sinn kam. Der Rumpf der Jacke bekam nun also etwas Abwechslung und blieb doch irgendwie schlicht. Das gefiel mir und so ging mir der Rumpfteil auch tatsächlich sehr leicht von der Hand.

 

Aber dann: ich wollte der Jacke lange Ärmel verpassen. Ich hasse es, Ärmel zu stricken. Wollte ich das wirklich? Ja, ich wollte. Okay, also ran an den Speck. Die Fußballsaison hatte inzwischen wieder begonnen und meine Familie gesellte sich am Samstag Nachmittag zu mir auf die Couch. So strickte ich also brav einen Ärmel an einem Nachmittag. Denn wer braucht denn schon Augen, um Fußball zu gucken? Da reichen Ton des Kommentators im TV und die Kommentare meiner Familie, um total im Bilde zu sein.

 

Warum hat der Mensch naturgemäß zwei Arme? Es gibt sicher viele Gründe dafür, die mir auch wirklich einleuchten. Wie sollte ich auch sonst stricken, wenn ich keine zwei Arme hätte? Aber besonders beim Stricken erscheinen mir meinen eigenen Arme immer besonders lang. Also wanderte das Projekt wieder ins Körbchen.

 

Vor zwei Wochen hatte ich Besuch von meinen Strickdamen und führte die fast fertige Jacke  vor. Sie gefiel und ich hörte an dem Abend ungefähr 100 Mal "Nun strick' doch eben schnell den zweiten Ärmel." Ich hatte aber keine Lust. Basta.

 

Am letzten Samstag stand wieder Fußball auf dem TV-Programm. Sollte ich nun den zweiten Ärmel stricken oder lieber in den Garten gehen und Unkraut zupfen? Ich entschied mich für den Ärmel und siehe da... die Jacke wurde noch am selben Tag fertig. Ich habe sogar direkt die Fäden vernäht und am nächsten Tag von meinem Sohnemann Fotos machen lassen.

 

Ich glaube ich habe noch nie so lange an einem Oberteil für mich gestrickt. Es war wirklich diesmal eine schwere Geburt. Und wisst ihr was? Ich bin froh, stolz und glücklich, dass die Jacke nun endlich fertig ist!

 

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